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IMA News · 29.09.22

Vom Chef zum Change-Agent: Mit neuer Führung aus der Krise

Es herrscht schlechte Stimmung in Teilen der öffentlichen Verwaltung. Um die Situation zu verbessern, müssen Führungskräfte jetzt umdenken, sagt Thomas Pütter.

Unternehmer und Experte für moderne Führung Thomas Pütter im Interview

Über Bücher, Vorträge, Podcasts, Blogs und Beratungen haben Thomas Pütter und seine Mitstreiter:innen von „DENK NEU – Agentur für Unternehmensentwicklung“ mehr als 180.000 Unternehmer:innen und Führungskräfte erreicht. In seiner Keynote beim Kongress „Innovatives Management“ am 8. November 2022 in Lübeck wird er auf die schlechte Stimmung in Teilen der öffentlichen Verwaltung und auf Maßnahmen, mit denen gegengesteuert werden kann, eingehen.

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Gründe dafür, dass die öffentliche Verwaltung Probleme beim Gewinnen und Halten von Mitarbeiter:innen hat?

Zweieinhalb Jahre Pandemie, jetzt der Krieg in der Ukraine und die Sorgen wegen der Inflation, dazu weltweit zunehmend Dürren, Hochwasser und andere Katastrophen – all die ganzen Dinge nehmen die Leute ja wahr. Nach meiner Meinung sind die Mitarbeiter:innen alleine dadurch dünnhäutiger und unsicherer geworden. Die Menschen kommen nun zu der Erkenntnis, dass Sicherheit eine Illusion ist, dass es sie auch in der öffentlichen Verwaltung nicht mehr in dem Maß wie früher gibt.
Ein weiterer Faktor ist das Phänomen der „Great Resignation“, der Welle freiwilliger Kündigungen. Sie führt dazu, dass die Dagebliebenen, die noch nicht wegen psychischer Erkrankungen ausgefallen sind, die Arbeit der anderen mitmachen müssen.
Hinzu kommt eine junge Generation, die im Homeoffice oder mobil arbeiten möchte und die auf einmal das alte Modell von Arbeit hinterfragt. Ist es noch zeitgemäß, dass wir alle in Vollzeit 40 Stunden arbeiten?

Welche Rolle können Führungskräfte spielen, um die Situation zu verbessern?

Die entscheidende! Um die Menschen emotional mitnehmen zu können, brauchen wir komplett neue Führungsskills. Das klassische Rollenverständnis ist ja so: Der oder die Vorgesetzte ist der Chef oder die Chefin! Er oder sie versteht sich als Ratgeber:in und/oder Ansager:in und/oder fachliche:n Expert:in. Sie oder er praktiziert Führung, wenn Zeit dazu ist – meistens ist aber keine Zeit da. Also ist die Führung nicht strategisch und nicht systematisch. Die neue Führung beinhaltet ein ganz neues Rollenverständnis, in dem Führungskräfte in die Coach-Rolle wechseln können, um so zu führen, dass Mitarbeiter:innen eine eigene Lösung entwickeln. Die Fachkräfte müssen Change-Agents werden, um viele Veränderungen in immer kürzerer Zeit unfallfrei hinzubekommen.

„Um die Menschen emotional mitnehmen zu können, brauchen wir komplett neue Führungsskills.“

Thomas Pütter Unternehmer und Experte für moderne Führung
Thomas Pütter - Innovatives Management 2022

Inwiefern sind technische Innovationen wichtig für eine Verbesserung der aktuellen Situation?

Sie können sehr helfen, sind aber nicht der Heilsbringer. Die digitale Kompetenz muss natürlich enorm verbessert werden, weil es gar nicht mehr anders geht. Bei hybriden Arbeitszeitmodellen mit immer mehr Teilzeitsituationen, bei Homeoffice und mobilem Arbeiten brauche ich Kollaborationstools. Außerdem braucht es ein Basisverständnis und Basisfähigkeiten der Mitarbeiter:innen, aber vor allem der Führungskräfte, um die virtuelle Zusammenarbeit effizient zu bewerkstelligen.
Viele Führungskräfte haben noch nicht genug Know-how aufgebaut, um die Teilnehmer:innen emotional so mitzunehmen, dass diese hinterher sagen: „Hey, das war toll! Online geht ja doch!“ Das kennen viele noch gar nicht. Die Leute müssen also entsprechend geschult werden.

Aus Ihrer Erfahrung heraus: Welche Fehler werden bei der Einführung neuer Technologien, z. B. Softwareneuerungen, in Unternehmen und im öffentlichen Dienst häufig gemacht?

Viele Leute werden auf dem Weg des Projekts nicht mitgenommen. Jüngeren Generationen fällt es tendenziell leichter als älteren, mit digitalen Veränderungen umzugehen. Ein Fehler ist oft, dass die Geschwindigkeit der Umsetzung und die Betreuung nicht auf die Bedürfnisse der Betroffenen abgestimmt werden. Manche müssen mehr, manche weniger an die Hand genommen werden.
Die Kombination aus zu ehrgeizigen Zielen und zu heftigem Zeitdruck führt dann zum großen Knall. Die Ressourcen werden falsch eingeschätzt, ob das Zeit, Manpower oder Schulungsbedarf ist. Und es wird nicht richtig kommuniziert: Die Sinnhaftigkeit der Veränderung wird den Beteiligten nicht gut vermittelt. Es findet keine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Widerstand statt, er wird einfach übergangen.

Weshalb wäre es aus Ihrer Sicht problematisch, die Schwierigkeiten nicht aktiv anzugehen?
Wohin würde es führen, wenn man alles laufen ließe?


Wenn ich die Leute nicht emotional mitnehme, staut sich die Arbeit immer mehr und die Fehlzeiten wegen psychischer Erkrankungen werden in ungeahnte Höhen steigen. Dabei sind sie jetzt schon auf einem Rekordniveau. Was viele Führungskräfte und Verwaltungslenker:innen noch nicht verstanden haben: Wenn Mitarbeiter:innen wegen psychischer Erkrankungen ausfallen, fehlen sie für einen unbekannt langen Zeitraum. Ich erlebe es gerade in ganz vielen Unternehmen, dass gestandene Mitarbeiter:innen, Säulen des Unternehmens, wegen psychischer Probleme einfach nicht mehr können. Und sie kommen nach einer Auszeit nicht wieder auf ihr altes Leistungsniveau zurück. Da muss in der Unternehmenskultur und in der Haltung der Führungskräfte massiv umgedacht werden.

Videogruß

Videogruß von Keynote-Speaker Thomas Pütter

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Mitarbeiter:innen zu Fans machen

In seiner Keynote beim Kongress Innovatives Management erklärt Thomas Pütter, Unternehmer und Experte für moderne Führung, warum Verwaltungen anfangen müssen, sich als lernende Organisationen zu verstehen. Leitthema des Lübecker Kongresses ist in diesem Jahr die Unzufriedenheit der Mitarbeiter:innen in der Öffentlichen Verwaltung.
Illustration einer Person, die vor mehreren Bildschirmen mit Diagrammen sitzt