News · 27.11.20

Nach der Krise ist vor der Krise

Ist nicht schon alles gesagt? Wissen wir nicht längst alles über die Krise? Wohl kaum. Das machte Frank Roselieb mit seinem Vortrag auf dem Kongress Innovatives Management in Lübeck mehr als deutlich. Deutschlands renommiertester Krisenforscher schöpfte aus dem Vollen und bewies eindrucksvoll, dass die Analyse und differenzierte Einordnung von Phänomenen durch die Wissenschaft die beste Grundlage sind, um Erkenntnisse zu generieren.

Schnell wurde dem Publikum klar: Die Wahrnehmung der Corona-Pandemie aus Sicht der Wissenschaft ist deutlich vielschichtiger und „normaler“ als viele ahnen – für Frank Roselieb ist die Corona-Pandemie einer von mehr als 10.000 Krisenfällen, die seit 1984 erfasst wurden, genau genommen der 10.173. Krisenfall. Der geschäftsführende Direktor und Sprecher des Krisennavigator, Institut für Krisenforschung – ein Spin-Off der Universität Kiel – bewertet und begutachtet seit mehr als 20 Jahren Krisen und ihre Bewältigung, informiert und trainiert Krisenstäbe und leitet Kongresse zum Thema. Er berät die interdisziplinären Gremien aus Politik, Justiz, Wirtschaft und weiteren Fachrichtungen, z. B. aus der Medizin, die sich landes- und bundesweit um die Bewältigung von Krisen kümmern. 

Das "new normal" wird kommen

Für ihn ist die Krise zwar keine Wiederholung, aber sie folgt klaren Mustern. Die vier Phasen von der Vorstufe bis zum Krisenfall und die Ordnung nach Krisentypen – das alles ist längst klassifiziert. So unterscheidet er die bilanzielle Krise, also Firmenpleite, von der kommunikativen Krise, landläufig Skandal genannt, sowie der operativen Krise, die immer eine Störung im Prozessablauf beschreibt. „Die Corona-Krise“, so der renommierte Fachmann, „liegt links und rechts davon, denn sowohl die wirtschaftliche als auch die operative Kontinuität sind durch sie gestört.“ Das ist auch einer der Gründe, warum es nach seiner Einschätzung keine Rückkehr zum Altbekannten geben wird: Weder Steuereinnahmen noch Wirtschaft ließen sich kurzerhand auf den Stand vor Corona zurückheben, ein „new normal“ wird kommen, so Roseliebs Prognose.

Frank Roselieb liefert Fakten

Gutes Zeugnis bis hierher

Die Bewertung der Krise nutzt ebenfalls fertige Standards. Zurzeit stecken wir mitten in der Phase der Krisenbewältigung. Diese wiederum fußt auf vier Säulen: Krisenmanagement, -kommunikation, -psychologie und -recht. Die Hauptverantwortung für das Krisenmanagement liegt bei den Kommunen und Kreisen, darin ähnelt sie dem „Katastrophenfall“, der de facto vorliege, so der Forscher. Rund 400 kommunale Krisenstäbe treffen täglich viele dezentrale Entscheidungen; ihnen und dem föderalen System gibt Frank Roselieb gute Noten. Auch der Justiz – Thema Krisenrecht – bescheinigt er, dass sie gut funktioniere, belegbar am hohen Entscheidungstempo und fundierten Urteilen. Der Rechtsstaat sei trotz einiger Rückschläge erhalten geblieben. In Summe stellt Roselieb der aktuellen Krisenbewältigung also ein recht gutes Zeugnis aus.

Kritik am digitalen Krisenmanagement

Aber – und da wird der Wissenschaftler deutlich – die große Katastrophe sei die Digitalisierung! Zu wenig ist passiert, seit Roseliebs Team 2004 beobachten konnte, wie Schweden und Dänemark die Dimension der Tsunami-Katastrophe schnell erfassten – mithilfe der Roaming-Kontakte ihrer Bürger:innen. Deutschland dagegen hat bis heute seine Hausaufgaben nicht gemacht, attestiert Roselieb. Bestes Beispiel: die überteuerte Corona-App für 60 Millionen Euro – inklusive Wartung und Betrieb, entwickelt von SAP und Telekom. Das Gegenbeispiel liefert er mit: Irland ließ die App von einem Startup entwickeln. Die vergleichsweise geringen Kosten: 850.000 Euro.

Krisen passieren immer wieder, Extremrisiken wie eine Pandemie im Schnitt alle 8 bis 10 Jahre. Deshalb gelte es, zeitnah Geld in die Hand zu nehmen und eine krisennahe Digitalisierung in der Verwaltung umzusetzen. Moderne und bewährte Instrumente sollten koexistieren, auch Technologie kann schließlich ausfallen. Dennoch fordert Frank Roselieb für die akute Phase der nächsten Krise deutlich mehr Mut und Innovationsgeist. Es sei – als eine zentrale Lehre – die zügige Entwicklung digitaler Lösungen gefragt, bestenfalls mithilfe von Open Communities.

IMA2020: Keynote Marina Weisband | © Jakob Börner Pressemitteilungen
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