News · 01.12.20

„Im Rathaus muss immer Licht brennen“

Was macht die Digitalisierung mit der Verwaltung? Unter anderem darüber diskutierten Vertreter:innen aus Praxis und Forschung während des Kongresses „Innovatives Management“ im November in Lübeck. Ein Fazit: Die Digitalisierung darf nicht auf die technischen Aspekte beschränkt werden.

Mehr Mut für Digitallabore

Die Corona-Krise hat der Digitalisierung einen ordentlichen Schub gegeben. Konkrete Beispiele gab es während der Podiumsdiskussion „Die konstruktive Seite der Krise: die öffentliche Verwaltung im Aufwind“. Holger Lehmann, Leiter des Leitungsstabs beim Informationstechnikzentrum des Bundes (ITZBund), Andreas Brohm, Bürgermeister von Tangerhütte, Rosa Thoneick, Stadtforscherin und Journalistin sowie Constantin Alexander, Dozent und Forscher für nachhaltige Stadtentwicklung, debattierten unter der Leitung von n-tv-Moderatorin Christiane Stein.

Während Holger Lehmann vom ITZBund grundsätzlich die Bedeutung von Routinen für die Schaffung von Stabilität und Handlungsspielräumen betonte, stellte Bürgermeister Andreas Brohm fest: „Wir müssen Lust auf Veränderungen wecken, wollen wir Verwaltung als digitalen, ganzheitlichen Prozess denken.“ Rosa Thoneick hob die Bedeutung der Menschen in diesem Prozess hervor: „Zukunftsorientierte Organisationen brauchen selbstbestimmte Formen der Zusammenarbeit, menschenzentriertes Design und wertebasiertes Führungshandeln.“ Constantin Alexander forderte mehr Mut für Reallabore.

„Zukunftsorientierte Organisationen brauchen selbstbestimmte Formen der Zusammenarbeit, menschenzentriertes Design und wertebasiertes Führungshandeln.“

Rosa Thoneick Research Associate am ScienceCityLab Hamburg

Schnelles Handeln trifft auf klare Strukturen

Ganz konkret wurde es mit Blick auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Gerade bei der digitalen Umgestaltung gab es Positives zu berichten. Dem ITZBund etwa kam als Teil der kritischen Infrastruktur eine besondere Bedeutung zu. Es muss die Handlungsfähigkeit der obersten Bundesbehörden auch in diesem Krisenfall gewährleisten. Das gelang zum Beispiel bei der Webseite des Robert-Koch-Instituts, deren Erreichbarkeit trotz des „millionenfach“ gestiegenen Ansturms binnen kürzester Zeit sichergestellt wurde, wie Holger Lehmann es ausdrückte.

Andreas Brohm gelang es in Tangerhütte, ein digitales Bürgerkonto anzubieten, über das die Bürger:innen beispielsweise online Anträge auf Erstattung von Kita-Gebühren wegen des Lockdowns stellen konnten. Für diese schnelle Reaktion auf die Krise braucht es nach Brohms Ansicht allerdings klare Strukturen. „Wir haben vor drei Jahren bereits damit begonnen. Denn Digitalisierung bedeutet eben nicht, wir stellen allen Mitarbeiter:innen Laptops hin und schicken sie ins Homeoffice.“ Verwaltung müsse auch im Krisenfall präsent sein. „Im Rathaus muss immer Licht brennen“, sagte Brohm. Zwar seien die Kommunen auf außergewöhnliche Ereignisse vorbereitet, als besondere Herausforderungen nannte der Verwaltungschef aber die Dauer der Krise.

 

„Ich will Kund:innen begeistern, Leistungen der Kommune digital zu nutzen. Wir müssen daher von uns aus auf die Bürger:innen zugehen und entsprechende Angebote machen.“

Andreas Brohm Bürgermeister der Stadt Tangerhütte
Bürgermeister Andreas Brohm

„Verwaltung ist das Rückgrat unserer Gesellschaft“

Für Brohm ist eine Kernfrage der Digitalisierung: Wie erreichen wir den Endkunden, sprich die Bürger:innen? Das könne nur gelingen, wenn von deren Bedürfnissen her gedacht werde. Brohm: „Ich will Kund:innen begeistern, Leistungen der Kommune digital zu nutzen. Wir müssen daher von uns aus auf die Bürger:innen zugehen und entsprechende Angebote machen.“ Constantin Alexander sagte ergänzend, Bürger:innen seien durch das Internet die sofortige Erfüllung von Bedürfnissen gewohnt und in diese Richtung müsse sich auch die Verwaltung ändern. Als Beispiel für eine aus Bevölkerungssicht erfolgreiche Digitalisierung nannte Rosa Thoneick die Einführung der deutschen Corona-App. Für die Stadtforscherin war es besonders positiv, dass eine solch komplexe Anwendung transparent und innerhalb von drei Monaten umgesetzt werden konnte, die zudem einen Mehrwert für die Bürger:innen bietet. Dadurch sei auch die Akzeptanz der Digitalisierung in der Bevölkerung gestiegen. Und auch die Verwaltung habe von ihrem Umgang mit der Krise profitiert. Schließlich sei die Verwaltung „das Rückgrat unserer Gesellschaft“, sagte Thoneick.

„Corona ist ein disruptives Ereignis, sichergeglaubte Wahrheiten werden dadurch in Frage gestellt.“

Constantin Alexander Dozent und Forscher für nachhaltige Urbanisierung
Constantin Alexander

Fehlende Vorbereitung auf digitales Führen

Dass Digitalisierung – vor allem während einer Pandemie – deutlich mehr ist als eine rein technische Angelegenheit, machten alle Teilnehmer:innen der Gesprächsrunde deutlich. Holger Lehmann betonte die besonderen Herausforderungen des Arbeitens im Homeoffice: „Wir waren auf virtuelles Führen und Zusammenarbeit nicht vorbereitet.“ Für Andreas Brohm war hingegen positiv, dass viele Mitarbeiter:innen durch die Digitalisierung mitunter zum ersten Mal erfahren haben, dass sie einen tollen Job machen. Mit Blick auf die Bürger:innen sagte der Bürgermeister, dass Digitalisierung bedeute, „wir machen Bildungsarbeit für alle Generationen. Vielleicht gelingt es uns durch die Krise, dass uns dieser soziale Wert der Kommune wieder wichtig wird“. Dozent Constantin Alexander verwies auf die Belastungen durch die Krise: „Corona ist ein disruptives Ereignis, sichergeglaubte Wahrheiten werden dadurch in Frage gestellt.“ Rosa Thoneick forderte, die Digitalisierung nicht als Ziel, sondern als Modus zu verstehen.

„Flexibilität nicht ohne Routinen! Denn in unsicheren Zeiten schafft ein gewachsenes Fundament Stabilität und Handlungsspielräume.“

Holger Lehmann Leiter des Leitungsstabs, ITZBund
Holger Lehmann - ITZ Bund

Am Ende waren sich alle Diskutanten einig, dass die Digitalisierung uns noch lange beschäftigen wird. Holger Lehmann sieht sich selbst dabei als Handlungsreisender in Sachen digitaler Umgestaltung. Tangerhüttes Verwaltungschef will die Digitalisierung vor allem von unten nach oben umsetzen, also ganz streng von den Anforderungen der Kund:innen ausgehen. Brohm hofft zudem, dass „es gelingt, den Verwaltungsstandort Deutschland neu zu denken“.

Digitalisierung dürfe aber nicht zum Selbstzweck werden“, wandte Rosa Thoneick ein. Und Constantin Alexander erhofft sich von der Digitalisierung vor allem auch wichtige Impulse im Kampf gegen den Klimawandel. Eine lebhafte, spannende Diskussion, die deutlich machte, wie vielseitig die Auswirkungen der Krise auf die Verwaltungen sein können – und welche Vorteile sich an verschiedensten Stellen aus ihr ziehen lassen.

Neues Denken, Arbeiten und Wirken in der Verwaltung!

Die Aufzeichnung der Podiumsdiskussion und viele weitere Beiträge des Kongresses Innovatives Management finden Sie auf unserer Veranstaltungsseite.
Innovatives Management im öffentlichen Dienst - technologische und menschliche Neuerungen im Arbeitsalltag

Im Interview:

Rosa Thoneick Research Associate am ScienceCityLab Hamburg

Im Interview:

Constantin Alexander Dozent und Forscher für nachhaltige Urbanisierung
Constantin Alexander
IMA2020: Keynote Marina Weisband | © Jakob Börner News
#Digitalisierung #Innovatives Management

Neue Selbst­wirk­sam­keit dank Digi­tali­sier­ung

Marina Weisband, Expertin für digitale Partizipation und Bildung, machte den Auftakt: Mit ihrem Impuls begann der diesjährige Kongress Innovatives Management. „Digitalisierung ist Beziehungsarbeit“, so Weisbands via Livestream vorgetragene These.