Entwickler-Blog · Christiane Wegner · 15.02.22

Datenchaos ade – Souverän durch die digitale Verwaltung

Für die erfolgreiche Digitalisierung der Verwaltung mit E-Government- und Smart City-Angeboten ist die digitale Souveränität ein entscheidender Faktor. Die Hansestadt Lübeck und die MACH AG arbeiten an Lösungen, um die digitalen Verwaltungsangebote zu verbessern. Sandra van der Hulst und Christane Wegner berichten.

In der digitalen Welt den Überblick über den Weg der eigenen Daten zu behalten, ist in der heutigen Zeit schwierig geworden. Auch im öffentlichen Sektor gibt es aufgrund der föderalen Strukturen in Deutschland viele behördenübergreifende Prozesse mit intensivem Datenaustausch und hoher Intransparenz der Datenweitergabe. So wundern sich Eltern nicht selten darüber, dass ihr Neugeborenes bereits wenige Tage nach der Geburt Post vom Bundeszentralamt für Steuern mit einer eigenen Steueridentifikationsnummer erhält, sie aber den Kindergeldantrag noch bei der Familienkasse ihres Wohnortes stellen müssen.

Um die digitale Souveränität zu fördern, hat sich die Hansestadt Lübeck mit weiteren Partnern vor Ort zusammengetan. Zwei Institute der Universität zu Lübeck und die MACH AG arbeiten mit der Hansestadt in dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Verbundprojekt “Digitale Souveränität durch E-Government” zusammen. Das Projekt läuft im Rahmen des BMBF-Forschungsprogramms Mensch-Technik-Interaktion für digitale Souveränität.

Ziel des Projektes ist es, Informations- und Interaktionsangebote zu schaffen, welche die digitale Souveränität der Nutzer:innen fördern und sie auch im Umgang mit kommerziellen Anbietern zu mehr Datensouveränität ermächtigen.

Digitale Souveränität durch eine digitale öffentliche Verwaltung

Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen (Onlinezugangsgesetz, OZG) wurde festgelegt, dass Bund, Länder und Kommunen 575 Verwaltungsleistungen bis Ende 2022 digital anbieten sollen. Mit der Umsetzung des OZG sollen Verwaltungsleistungen bürgerfreundlicher und Prozesse effizienter werden. Allerdings gaben 21 Prozent der Befragten in einer Studie des Bitkom an, nicht gerne in einer Gemeinde mit vielen digitalen Angeboten zu leben. 76 Prozent davon nennen als Grund Angst vor einer Entwicklung zum gläsernen Menschen; 66 Prozent fürchten Datenmissbrauch. Diese Auskünfte deuten ein Misstrauen gegenüber der Verwaltung an, die einer breiten Nutzung der Online-Dienste im Wege stünde. Eine Stärkung der digitalen Souveränität kann hierfür eine Lösung sein. Digitale Souveränität meint das selbstbestimmte Handeln und Entscheiden von Personen, Organisationen und Staaten im digitalen Raum.

Sowohl bei der Digitalisierung von Verwaltungsdiensten als auch für die Smart City-Angebote, die in immer mehr Städten wie Lübeck angeboten werden, ist ein bewusster und reflektierter Umgang mit den eigenen Daten notwendig, damit Bürger:innen die Dienste nutzen können und wollen. Ebenso wichtig ist die Gestaltung der Dienste in der Form, dass sie ihnen am besten dienen. Die sensiblen Daten, die dabei gesammelt und verarbeitet werden, fordern einen sehr verantwortungsvollen Umgang. Die öffentliche Verwaltung hat nicht nur die Aufgabe, datenschutzrechtlich und verantwortungsvoll mit diesen Daten umzugehen, sondern auch mit gutem Beispiel voranzugehen. Es gilt, mit transparenter Gestaltung von Datenströmen und Datenschutzhinweisen die Souveränität der Bevölkerung hinsichtlich ihrer Daten zu stärken. Bürger:innen sollten wissen und hinterfragen, wie Organisationen im öffentlichen und privaten Bereich Daten sammeln, was mit diesen Daten passiert und warum sie erhoben werden, damit sie im Sinne der digitalen Souveränität selbstbestimmt über ihre Daten und deren Nutzung entscheiden können.

„Mit den Lösungen, die im Projekt entwickelt werden, kann die Akzeptanz von digitalen Verwaltungsanwendungen erhöht werden, was positive Auswirkungen auf die öffentliche Leistungserstellung bewirken kann. Darüber hinaus sind informierte und digital souveräne Bürger:innen besser in der Lage, die digitale Transformation in ihrer Stadt mitzugestalten.“

Dr. Stefan Ivens CDO der Hansestadt Lübeck

Zusammenarbeit in einem interdisziplinären Team

Die Zusammenarbeit im Verbundprojekt ist in hohem Maße interdisziplinär. Jeder Projektpartner kann seine Stärken einbringen und Teilaufgaben des Vorhabens federführend adressieren. Die Hansestadt Lübeck bietet den Zugang zur Verwaltung und sammelt Informationen für das Projekt. In der iterativen Entwicklung der Lösungen hat die Stadt vor allem die Möglichkeit, die Lösungen mit den Zielgruppen zu testen.

Die Wissenschaft ist vertreten durch die Universität zu Lübeck mit dem Institut für Interaktive und Multimediale Systeme (IMIS) sowie mit dem Ethical Innovation Hub (EIH). Schwerpunktthemen des IMIS sind die Forschung zu Konzeption, Realisierung und Evaluation von interaktiven Mensch-Maschine-Systemen sowie psychologische Grundlagen von gelungenen Interaktionsdesigns und Usability-Engineering. Der EIH forscht zu ethischen und sozialen Aspekten technischer Entwicklungen.

MACH bringt über 35 Jahre Erfahrung bei der Modernisierung und Digitalisierung von Prozessen in der öffentlichen Verwaltung mit.

Der menschenzentrierte Entwicklungsprozess

Schematische Darstellung nach DIN EN ISO 9241-210

Datenströme im Fokus

Das Projekt fokussiert behördenübergreifende Datenströme aus einer Vielzahl an Verwaltungsprozessen, bei denen Daten aufgenommen, weiterverarbeitet und ausgetauscht werden. Dabei hat das Projektteam drei Lebenslagen exemplarisch ausgewählt: Geburt, Umzug und soziale Notlage (hier ist insbesondere die Situation der Arbeitslosigkeit gemeint).

Zwei Aspekte zeichnen das Vorgehen im Projekt aus:

  1. ein menschzentrierter Entwicklungsprozess unter Einbeziehung der Nutzer:innen von der Konzeption bis zur Evaluation (siehe obige Abbildung)
  2. eine wissenschaftliche Begleitung mittels Nutzerstudien und Labor- sowie Feldexperimenten, welche die erarbeiteten Lösungen auf ihre Wirksamkeit hin untersuchen.

Dem menschzentrierten Entwicklungsprozess folgend, startete das Projektteam eine Analysephase, um den jeweiligen Nutzungskontext und die Anforderungen zu verstehen und festzulegen. In dieser wurden Bürgerservice-Webseiten und E-Government-Angebote hinsichtlich Datensouveränität untersucht. Dabei zeigten die Online-Services der öffentlichen Verwaltungen auf kommunaler Ebene keine besonderen Maßnahmen zur Erhöhung der Datensouveränität ihrer Nutzer:innen. Neben Recherchen zu gesetzlichen Grundlagen und Fachverfahren fanden Experteninterviews mit Verwaltungsmitarbeitenden und Datenschutzbeauftragten statt, sodass eine gute Übersicht der Datenströme, beispielsweise bei einer Ummeldung in der Meldebehörde, entstand. Besuche vor Ort, unter anderem im Standesamt, ermöglichten einen Blick auf die konkreten Abläufe. Hier zeigten sich bei der Verwendung von handschriftlichen Registerbüchern auch die Grenzen der fortschreitenden, aber noch lange nicht abgeschlossenen Digitalisierung der Verwaltung. Wissen über diese Grenzen hilft dabei, Prozesse und Datenströme zu verstehen und aktiv mitzugestalten.

Iterativ zum Ziel

Mit den detaillierten Einblicken und ermittelten Anforderungen aus der Analysephase konnte eine interdisziplinäre Gruppe in einem Design Sprint erste Gestaltungslösungen erarbeiten. Für die Bedürfnisse und Ressourcen des Teams war es dabei passender, das Konzept anzupassen und nur die ersten drei statt der originalen fünf Tage im Sprint durchzuführen. Gemeinsam wurden so die ersten drei Etappen eines Sprints erarbeitet:

  1. Das Ziel verstehen und festlegen
  2. mehrere Ideen zur Lösung sammeln und schließlich
  3. aus den Ideen die Richtung zum Ziel auswählen und in einem Storyboard skizzieren

Die Storyboards werden nun zu Prototypen umgesetzt und in mehreren Iterationen weiter ausgearbeitet. Einer der Prototypen ist eine interaktive Visualisierung der Datenströme nach der Ummeldung mit Gamification-Elementen, da die Anwendenden in einer Art Wissensspiel später Rückmeldung darüber erhalten, inwieweit sie die Weitergabe der Daten richtig eingeschätzt haben.

Ein zentraler Aspekt des menschzentrierten Entwicklungsprozesses ist das iterative Anpassen der Gestaltungslösungen anhand von Evaluationen und Feedback von der Zielgruppe. Trotz aller Planung im Vorfeld, der Recherche in der Analysephase und der Expertise und Kreativität, die im Designsprint eingebracht werden – erst durch das Feedback der Nutzer:innen wird deutlich, wie gebrauchstauglich eine Anwendung ist. So plant das Projektteam in den nächsten Monaten mehrere Iterationszyklen mit den Prototypen, bei denen die Evaluationen mit den Bürger:innen und Verwaltungsmitarbeitenden durch die Universität zu Lübeck als Projektpartner wissenschaftlich begleitet und ausgewertet werden.

Schritt für Schritt nähert man sich so dem Punkt, an dem die Gestaltungslösung die Anforderungen bestmöglich erfüllt und auf Webseiten oder Portalen der öffentlichen Verwaltung zur Verfügung gestellt werden kann. In weiteren Untersuchungen wird abschließend analysiert, ob die digitale Souveränität der Anwender:innen messbar gefördert wird und ob ein Transfereffekt zu privaten Anbieter:innen hinsichtlich des souveränen Umgangs mit den eigenen Daten erfolgt.

Dieser Artikel erschien zuerst in der IM+io Fachzeitschrift im Dezember 2021.

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